RA Marco SchneiderArtikelArtikelMedizinrechtDer Geburtsschaden

7. Juli 2022

Erleidet die Mutter oder das Kind vor oder während der Entbindung durch einen Behandlungsfehler einen Schaden, spricht man von einem Geburtsschaden. Meistens sind die Folgen dieser Schäden weitreichend. Schon kleinste Fehler können das zerbrechliche Neugeborene weitreichend schädigen. Es ist daher nicht selten, dass die Geschädigten ein Leben lang mit den Folgen zu kämpfen haben.

Aus diesen Gründen sind die Summen, die den Geschädigten durch die Gerichte zugesprochen werden, oft sehr hoch, denn die Geschädigten sollen von diesem Geld ein Leben lang finanziell abgesichert sein.

 

Was genau ist ein Geburtsschaden?

 

Ein Geburtsschaden entsteht dann, wenn die Mutter oder das Kind vor oder während der Entbindung durch die fehlerhafte Behandlung eines Arztes Schäden erleiden. Der Schaden kann dabei sowohl körperlich, als auch psychischer Natur sein.

Die Ursache eines Geburtsschadens ist in der Regel ein Diagnosefehler oder ein Therapiefehler des behandelnden Arztes.

Es gibt ganz unterschiedliche Ausprägungen von Geburtsschäden, so liegt ein solcher beispielsweise vor, wenn:

  1. Die Mutter vor und während der Schwangerschaft falsch, überhaupt nicht oder unvollständig beraten worden ist,
  2. Der Arzt Missbildungen oder unübersehbare Erkrankungen des ungeborenen Kindes in den      Voruntersuchungen übersieht,
  3. Die Mutter falsch medikamentös behandelt worden ist und dadurch Schäden des Kindes entstehen,
  4. Ein Notkaiserschnitt zu spät oder nicht kunstgerecht durchgeführt worden ist,
  5. Die Mutter oder das Kind durch den Einsatz einer Geburtszange oder Saugglocke verletzt worden sind.

Die Folgen von solchen Fehlern der behandelnden Ärzte sind weitreichend. Die Mutter und/oder das Kind können körperliche und geistige Behinderungen, Lähmungen, Hirnschäden durch Sauerstoffmangel oder sogar der Tod erleiden.

 

Ich bin möglicherweise Geschädigter eines Geburtsschadens, was muss ich jetzt tun?

 

Haben Sie den Verdacht, dass Mutter oder Kind durch nicht kunstgerechte ärztliche Behandlung geschädigt worden sind, empfiehlt es sich, Beweise zu sammeln und einen Anwalt für Medizinrecht frühzeitig zu Rate zu ziehen.

Des Weiteren sollte die Patientenakte gesichert werden, damit geklärt werden kann, ob es tatsächlich einen Behandlungsfehler gegeben hat, der zum Geburtsschaden geführt hat und Beweise gesichert werden können.

Bestenfalls sollte durch die Eltern ein Erinnerungsprotokoll der Geburt und der vorherigen und nachträglichen Untersuchungen erstellt werden.

Außerdem sollte auf die Sicherung folgender Dokumente besonders geachtet werden:

  • Das Geburtsprotokoll mit Angaben zum pH-Wert des Nabelschnurblutes und des Apgar-Wertes,
  • Die Aufschreibung des Wehenschreibers (CTG),
  • Die Berichte der Kontrolluntersuchungen,
  • Der Aufnahme- und Entlassungsbericht des Krankenhauses,
  • Der Mutterpass,
  • Die Unterlagen des Kinderarztes.

 

Grundsätzlich gilt also, dass alle möglichen medizinischen Schriftstücke relevant sein können und deswegen aufbewahrt werden sollten.

 

Wann steht mir ein Anspruch auf Entschädigung zu?

 

Handelt es sich um einen Geburtsschaden steht dem Betroffenen vom Schädiger Schmerzensgeld und unter Umständen auch Schadensersatz zu.

Handelt es sich bei dem Geschädigten um ein Kind, so sind die Eltern als gesetzliche Vertreter berechtigt, die Ansprüche vor Gericht geltend zu machen.

Damit die Ansprüche auch tatsächlich bestehen, muss das Verschulden des Arztes an dem Schaden nachweisbar sein. Dafür ist der Geschädigte in der Beweispflicht. Dieser muss nachweisen können, dass es sich um einen groben Diagnose- oder Behandlungsfehler handelt und dieser der Ursprung des Gesundheitsschadens ist.

Bei der Erbringung des Beweises für das Verschulden des Arztes kann ihnen der Rechtsanwalt für Medizinrecht behilflich sein und einschätzen, ob die Patientenakte als Beweis ausreichend ist oder ob weitere Beweise beschafft werden müssen.

 

Unter bestimmten Umständen kann auch die Umkehr einer Beweislast vorliegen. Dies ist der Fall, wenn:

  1. Die Patientenakte unvollständig geführt wurde oder keine Dokumentation stattgefunden hat,
  2. Ein Kunstfehler vorliegt (= ein eindeutiger Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln und gesicherte medizinische Erkenntnisse),
  3. Der Geschädigte von nicht ausreichend qualifiziertem Personal behandelt worden ist,
  4. Der Arzt oder das Krankenhauspersonal unangemessen und nicht ausreichend auf eindeutige Symptome reagiert haben.

 

In der Praxis wurde ein grober Behandlungsfehler in folgenden Fällen durch die Gerichte bejaht:

  • Unterlassen eines Scheiden-Damm-Schnittes, wenn ein nachvollziehbarer Grund für diese Entscheidung nicht gegeben ist,
  • Die fehlerhafte Errechnung des Geburtstermins und die darauf beruhende zu frühe Einleitung der Geburt,
  • Unterlassen des Abhorchens der Geräusche des Fötus nach dem Blasensprung,
  • Unterlassen der Befunderhebung bei einem vorzeitigen Blasensprung,
  • Unterlassen oder Verzögerung einer Schnittentbindung bei einer Sauerstoffmangelversorgung des Kindes,
  • Wenn der Geburtsfortschritt nur unzureichend überwacht wird,
  • Mehrere einfache Behandlungsfehler während der Geburt.

 

Wann und wie verjähren meine Ansprüche?

 

Der Anspruch auf Schmerzensgeld und/oder Schadensersatz verjährt bei Geburtsschäden regelmäßig nach drei Jahren. Die Frist beginnt mit Ablauf des Jahres zu laufen, in dem der Schaden entstanden ist und der Geschädigte vom Schaden und dem Verursacher Kenntnis erlangte.

Durch einen Feststellungsantrag kann der Geschädigte verhindern, dass der Anspruch auf Schadensersatz für Geburtsschäden verjährt, die sich erst in der Zukunft zeigen. Der Feststellungsantrag muss bei Gericht gestellt werden. Die Verjährungsfrist beträgt dann 30 Jahre.

 

Welche Entschädigung erhalte ich für einen Geburtsschaden?

 

Ist ein Geburtsschaden durch eine Fehldiagnose oder einen Behandlungsfehler zweifelsfrei nachweisbar, stehen dem Betroffenen Entschädigungszahlungen in Form von Schmerzensgeld und Schadensersatz zu.

Schmerzensgeld= Die finanzielle Genugtuung für den Ausgleich des immateriellen Schadens.

Schadensersatz= Der Ausgleich für die entstandenen materiellen Schäden des Geschädigten.

Wegen der sehr hohen finanziellen Belastungen, die auch zukünftig durch einen Geburtsschaden entstehen können, liegt die Höhe der Entschädigungszahlungen nicht selten im sechsstelligen Bereich. Die Summen, die Gerichte den Betroffenen eines Geburtsschadens in Deutschland zusprechen, gehören zu den höchsten im deutschen Schadensersatzrecht.

Aus diesem Grund sollten auch Abfindungsangebote der Haftpflichtversicherung des Anspruchsgegners grundsätzlich abgelehnt werden. Eine solche Einmalzahlung liegt dabei in der Regel deutlich unter dem, was dem Geschädigten tatsächlich zusteht und dieser muss im Zuge dessen auf alle weiteren Ansprüche verzichten.

Dabei haben unterschiedliche Faktoren Auswirkungen auf die Höhe des zugesprochenen Schmerzensgeldes:

  • Der tatsächliche Umfang des Geburtsschadens,
  • Die Dauer der Behandlung und die dafür notwendigen Aufenthalte in medizinischen Einrichtungen,
  • Die alltägliche Beeinträchtigung im Alltag und im beruflichen Leben,
  • Dauerhafte oder längerfristige Schmerzen,
  • Folgeschäden und körperliche Entstellungen und deren Folgen.

Die Gerichte orientieren sich in der Regel an ähnlich gelagerten Fällen und an Schmerzensgeldtabellen. Diese dienen als Richtwert und ersetzen keine genaue Abwägung der Umstände des Einzelfalls.

Entstehen durch einen Geburtsschaden auch materielle Schäden, kann auch ein Anspruch auf Schadensersatz vorliegen. Solche Schäden können unterschiedlich ausgestaltet sein, zum Beispiel als:

 

Wie setze ich meine Ansprüche durch?

 

Die Ansprüche des Geschädigten können auf zwei Wegen geltend gemacht werden. Zum einen kann die Durchsetzung der Ansprüche außergerichtlich verfolgt werden. Eine solche Einigung erfolgt in Form eines Vergleichs. Des Weiteren können die Ansprüche auch gerichtlich durchgesetzt werden.

Außergerichtliche Einigung

Zunächst kann der Rechtsanwalt versuchen, die Entschädigungsansprüche außergerichtlich, dass heißt über Verhandlungen mit der gegnerischen Partei durchzusetzen. Vorteilhaft ist dabei, dass der Schadensfall üblicherweise deutlich schneller abgeschlossen werden kann als in einem gerichtlichen Verfahren.

Inhalt der Einigung sind in der Regel die Schmerzensgeldansprüche, Schadensersatzansprüche und eine verjährungssichere Anerkenntniserklärung.

Letztere deckt auch Schäden ab, die noch in der Zukunft liegen, aber auch durch das schädigende Ereignis eintreten oder sichtbar werden. Dies können unter anderem ein Pflegeschaden, Erwerbsschaden oder eben nachträglich eingetretene Behandlungskosten sein.

Gerichtliche Einigung

Kommt eine solche außergerichtliche Einigung aus verschiedenen Gründen nicht in Betracht, ist eine Einigung vor Gericht in Form einer Klage unumgänglich.

Wenn Ihr Anwalt Klage erhoben hat, wird in einer Gerichtsverhandlung über das Vorliegen des Geburtsschadens entschieden und eine Entschädigungssumme festgelegt und eine Frist zur Zahlung bestimmt.

 

Wie hoch sind die Summen, die Gerichte den Geschädigten bei einem Geburtsschaden zu sprechen?

 

Wie eingangs bereits angesprochen, sind die Schadensersatz- und Schmerzensgeldforderungen bei Geburtsschäden meistens sehr hoch, da die Auswirkungen meist gravierend sind und den Geschädigten ein Leben lang begleiten und finanziell belasten.

Damit ein Gefühl davon gewonnen werden kann, in welcher Höhe Schadensersatzansprüche von den Gerichten beziffert werden, sollen im Folgenden einige Gerichtsentscheidungen aus der Praxis kurz dargestellt werden:

  • Schwergeschädigtes Neugeborenes durch Sauerstoffmangel während der Geburt wegen eines zu spät eingeleiteten Notkaiserschnitts: 300.000 € Schmerzensgeld, (OLG Hamm)
  • Schwergeschädigtes Neugeborenes wegen fehlerhafter CTG-Überwachung und zu spät durchgeführtem Notkaiserschnitt: 250.000 € Schmerzensgeld, (OLG Hamm)
  • Schwergeschädigtes Neugeborenes durch zu späte und unzureichende Überwachung der Geburt: 300.000 € Schmerzensgeld, (LG Dortmund)
  • Fehlinterpretation eines hochpathologischen CTGs und dazu stark verspätete Indikation eines Notkaiserschnitts: 700.000 € Schmerzensgeld, (OLG Frankfurt am Main)

 

Bei diesen Summen handelt es sich lediglich um das Schmerzensgeld, also um eine Art Ersatz für immaterielle Schäden. Die Höhe des Schadensersatzes, also der Ersatz für materiell entstandene Schäden, ist davon nicht umfasst.

 

 

RA Marco Schneider