RA Marco SchneiderArtikelMedizinrechtStrafbarkeit Fahrlässige Tötung bei einer Infizierung mit Corona

22. Februar 2023

Weil sie einen Corona-Ausbruch mit Toten in einem Pflegeheim verursacht haben soll, hat die Staatsanwaltschaft Hildesheim gestern Anklage gegen eine 45-Jährige erhoben. Die frühere Mitarbeiterin des Heimes wird wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung angeklagt. Sie habe trotz einer Corona-Infektion ihres bei ihr lebenden Sohnes zunächst weiter gearbeitet. Es soll sich dadurch ein Arbeitskollege bei ihr angesteckt haben und in der Folge den Virus auf die Bewohner übertragen haben: Drei Bewohner (80, 85, 93 Jahre alt) starben an den Folgen.

Der Fall bekommt seine Öffentlichkeit und Brisanz hauptsächlich wegen des schweren Tatvorwurfs, der Frage nach der Schuld der Angeklagten und der mittelbaren Folgen, die sich über den Infektionsweg über mehrere Mitarbeiter verwirklicht haben sollen.

Der Fall wirft außerdem spannende, juristische Fragen in der strafrechtlichen Fallbearbeitung auf:

Welches Verhalten im Zusammenhang mit dem SARS-CoV2 Virus wird strafrechtlich sanktioniert?

Wie ist die Fallkonstellation der Angeklagten aus Hildesheim oder ähnliche Strafverfahren zu bewerten?

Mache ich mich strafbar, wenn ich mich mit Freunden treffe und mit Corona infiziert bin?

Wie verhält es sich bei einer einfachen Erkältung?

Welches Verhalten im Zusammenhang mit dem SARS-CoV2 Virus wird strafrechtlich sanktioniert?

Ein Großteil von uns wurde bereits Infiziert und durchlitt die individuell mehr oder weniger schweren Folgen des Virus. Doch während manche die gesamte Infektionszeit in Quarantäne verbrachten, dürfen andere heute schon (bei Symptomfreiheit) trotz festgestellter Infektion mit dem Virus zur Arbeit gehen.

Wurde zur Zeit der angeordneten Quarantänemaßnahmen noch ein Zusammentreffen als „Corona-party“ sanktioniert, ist dies heute ohne Konsequenzen möglich.

Welches Verhalten denn nun erlaubt ist und welches Verhalten sanktioniert werden kann und gar den Vorwurf einer fahrlässigen oder vorsätzlichen Tötung rechtfertigt ist natürlich stark einzelfallabhängig und nicht generalisierbar. Trotzdem soll hier ein Bewertungsmaßstab für den Leser dargestellt werden:

Keine Strafe ohne Gesetz

zunächst gilt der in Art 103 Abs. 2 GG und  § 1 StGB festgehaltene Grundsatz: „nulla poena sine lege“ oder „Keine Strafe ohne Gesetz“.

Danach kann der Rehtsstaat nur bestrafen, was er auch zuvor im Rahmen eines gesetzgebungsverfahrens unter Strafe gestellt hat. Hiermit soll der Bürger vor willkürlicher Strafverfolgung geschützt werden.

Welches Verhalten explizit noch sanktioniert wird, kann aus dem Corona Bußgeldkatalog entnommen werden.

Ausführungen zu der aktuellen Maskenpflicht und dem Verhalten bei einem positiven Testergebnis fnden sich in der Corona-Schutzverordnung.

Die nächste Stufe sind Strafnormen des Strafgesetzbuches, wie die Körperverletzung § 223 StGB oder sogar die Fahrlässige Tötung § 222 StGB.

Es kann festgehalten werden, dass eine Privatperson in der Öffentlichkeit nur noch wenige Bußgeldvorschriften treffen. 

So wurde die Maskenpflicht (mindestens eine OP-Maske) in § 1 CoronaSchVO auf fogende Einrichtungen beschränkt (Aufzählung nicht abschließend):

1. Arztpraxen, Zahnarztpraxen, psychotherapeutische Praxen,

2. Praxen sonstiger humanmedizinischer Heilberufe,

3. Einrichtungen für ambulantes Operieren,

4. Dialyseeinrichtungen,

5. Tageskliniken,

6. Behandlungs- und Vorsorgeeinrichtungen

7. Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes, in denen medizinische
Untersuchungen, Präventionsmaßnahmen oder ambulante Behandlungen durchgeführt werden

8. Rettungsdienste

9. Öffentliche Verkehrsmittel

Auch das Verhalten nach einem positiven Corona Test ist weiter gefasst und die Quarantäne und sogar das Fernbleien von der Arbeitstelle erlassen. In § 3 CoronaSchVO i.V.m. §28b IfSG wird z.B. ledilgich das Betreten der oben genannten Institutionen 5 Tage nach dem positiven test versagt.

Zu dem Verhalten nach einem positiven Corona-Testergebnis:

§ 3 CoronaSchVO 

 § 28b IfSG

Strafrechtliche Fallkonstellationen sind vielfältig

Strafrechtlich gilt: „Es kommt immer ganz auf den Einzelfall an“.

Eine Körperverletzung gemäß § 223 StGB setzt sich aus den objektiven Vorraussetzungen (Gesundheitsschädigung, Kausalitätszusammenhang) und den subjektiven Vorraussetzungen (Vorsatz bezüglich beider objektiven Vorraussetzungen) zusammen.

Eine Gesundheittschädigung ist jede Abweichung des vorrübergehenden körperlichen Normalzustands.

Damit könnte ein Haarschnitt bereits eine Körperverletzung darstellen.

Maßgeblich für die Beurteilung sind jedoch auch der Vorsatz des Täters und – wie im Beispiel des Haarschnitts – eine die Rechtswidrigkeit auflösende Einwilligung des „Opfers“.

Eine Ansteckung mit einem Corona Virus erfüllt zunächst zweifelsfrei die objektiven Vorraussetzungen einer Gesundheittschädigung. Fraglich ist allerdings schon der Vorsatz.

Beispielsfall kannte A sowohl seine eigene Infektion sowie die hohe Übertragungswahrscheinlichkeit durch Körperflüssigkeiten. Da er B auch infizieren wollte, war sein Vorsatz insofern unproblematisch.

In vielen Fällen ist jedoch schon das exakte Wissen über die eigene Infektion und auch über die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung zu verneinen. Weiter ist der Vorsatz einen anderen wissentlich und willentlich zu infizieren in den allermeisten Fällen wohl nicht begründet.

Sie benötigen Beratung im Medizinrecht?

https://www.scharffetter.com/wp-content/uploads/2022/07/0R4A7256-scaled.jpg
Elisa Chiappetta

Rechtsanwältin

Fachanwältin für Medizinrecht

https://www.scharffetter.com/wp-content/uploads/2022/07/0R4A7365-scaled.jpg
Marco Schneider

Rechtsanwalt
Tätigkeitsschwerpunkte: Medizinrecht, Arzthaftungsrecht

Wie ist die Fallkonstellation der Angeklagten aus Hildesheim oder ähnliche Strafverfahren zu bewerten?

Fälle der fahrlässigen Begehung setzen grundsätzlich ein Verhalten voraus, welches rechtlich missbilligt ist. Sozialadäquates Verhalten kann bei Fahrlässigkeitsdelikten nicht sanktioniert werden.

Jedenfalls ist ein Handeln eindeutig rechtlich missbilligt, wenn es aufgrund staatlicher Gesetze und Verordnungen untersagt ist (wie bereits oben dargestellt). Daher kommt dem Maßstab der Sozialadäquanz eine wesentliche Bedeutung zu. Gefährdungen, die das sozialadäquate Maß nicht überschreiten, sind folglich von der Strafrechtsordnung zu respektieren.

Typischerweise wird es sich aber letztlich um eine Abwägung von Wahrscheinlichkeit und Gewicht der denkbaren Folgen mit der Zumutbarkeit des Verzichts von risikobehaftetem Verhalten handeln. Mit Blick auf die zahlreichen Krankheitserreger hängt danach der Bereich sozialadäquaten Handelns stark vom Einzelfall ab. So mag es mit einer Erkältung noch vertretbar sein, öffentliche Räume oder den Arbeitsplatz aufzusuchen. Demgegenüber verstößt man bei schwerwiegenden Krankheiten wohl schon durch das bloße Verlassen der Wohnung gegen das Prinzip der Sozialadäquanz.

Häufig wird man aber bei einer solch pauschalen Beurteilung nicht bleiben, denn auch wenn das Betreten eines öffentlichen Raums, beispielsweise während einer Busfahrt, noch sozialadäquat sein mag, gibt es währenddessen zahlreiche Verhaltensweisen, bei denen die Grenze zum unerlaubten Verhalten bereits überschritten wird, etwa das unvorsichtige Niesen inmitten einer Menschengruppe oder das Abwischen von Auswurf an einem Haltegriff. Freilich sind derartige Verhaltensweisen nur selten beobachtbar oder dem Infizierten selbst nicht bewusst, weshalb es in der Praxis oftmals notwendig sein wird, auf den Aufenthalt der Person im öffentlichen Raum abzustellen. Insofern dürfte der Kreis von infektiösen sozialadäquaten Handlungen selbst bei einer einfachen Erkältung tatsächlich sehr klein ausfallen; auch wenn man faktisch aufgrund von Beweisproblemen häufig zur Straflosigkeit aufgrund von Sozialadäquanz gelangen wird.

Durch den im Beispielsfall der Hildesheimer Pflegerin vorgenommenen Kontakt mit Mitarbeitern des Pflegeheims als Einrichtung für vulnerable Personengruppen, könnte ein sozialinadäquates Verhalten wohl angenomen werden. Anklagen wegen mittelbarer Schädigung lassen sich nur schwer nachweisen. wer zu welchem Zeitpunkt infiziert war, wer daraufhin wen angesteckt hat und ob dies alles noch auf das erste inadäquate Verhalten zurückzuführen ist, ist medizinisch und tatsächlich nur schwer zu bewerten.

Ein Nachweis der Kausalität mit der für § 261 StPO erforderlichen Gewissheit scheitert somit wohl meist an den vielen Möglichkeiten und alternativen Infektionswegen. 

Eine Bewertung des Beispielfalles kann in diesem Artikel jedoch nicht vorgenommen werden, da hier keinerlei relevante Einzelumstände bekannt sind. Eine Klage wird von der Staatsanwaltschaft schließlich auch nur erhoben, wenn die Verurteilung der Angeklagten auch hinreichend wahrscheinlich ist.

5. Fazit

Als Fazit bleibt festzuhalten, dass im Bezug auf Corona ähnliche Verhaltensweisen gelten, wie bei einer normalen Grippe. Es ist immer auf das sozialadäquate Verhalten abzustellen. Wer also erhebliche Symptome (starke Erkältung) aufweist, sollte Menschen nicht unbedingt ohne deren Einwilligung auf engstem Raum begegnen oder infektionsfördernde Verhaltensweisen an den Tag legen (Niesen außerhalb der Armbeuge etc.).

Gleichzeitig gelten im Bezug auf Corona immernoch Bußgeldvorschriften, welche sich jedoch auf das Maskentragen in Arztpraxen etc. beschränken. Wer Corona positiv ist und keine Symptome aufweist, kann sogar zur Arbeit gehen.

Strafrechtliche Konsequenzen wie die einer Körperverletzung müssen durch den Staat bei einer tatsächlichen Anklage nachgewiesen werden. Der Der Nachweis des Wissens und Wollens sämtlicher Tatbestäde oder im Falle der Fahrlässigkeit auch der Kausalität der Infektion bedarf einer sehr genauen Beweisführung, die aufgrund der Vielfältigkeit alternativer Infektionsmöglichkeiten nur schwer möglich sein wird.

Schildern Sie uns gerne Ihren Fall

RA Marco Schneider