RA Marco SchneiderArtikelArtikelArtikelMedizinrechtPersonenschädenVersicherungsrechtDer Erwerbsschaden – so berechnen sich Schäden in Ihrem Berufsleben

9. September 2022

Wird ein Geschädigter durch einen Verkehrsunfall oder einen Behandlungsfehler verletzt und kann deswegen seiner beruflichen Tätigkeit nicht mehr wie gewohnt nachgehen, entsteht daraus ein Erwerbsschaden.

Bei der Geltendmachung eines solchen Schadens sollten jedoch die Besonderheiten des Erwerbsschadens nicht außer Acht gelassen werden und in die Geltendmachung des Schadens einfließen:

 

Vermögensschaden

Zunächst ist Voraussetzung für die Geltendmachung eines Erwerbsschadens, dass sich die Beeinträchtigung oder der Wegfall der Erwerbsfähigkeit auch tatsächlich in einem Vermögensschaden niederschlägt. Kann dies bejaht werden, so ist nicht nur der weggefallene Lohn, sondern auch sonstige wirtschaftliche Nachteile, die konkret mit der Beeinträchtigung oder dem Wegfall der Erwerbsfähigkeit einhergehen, zu ersetzen.

Beispiele für wirtschaftliche Positionen, die neben dem Gehalt ebenfalls ersatzfähig sind:

  • Urlaubsentgelt und Sonderzuwendungen,
  • Nebeneinkünfte (z.B. Trinkgeld),
  • Ausfall von Eigenleistungen (z.B. beim Bau eines Eigenheims),
  • Gewinn bei Selbstständigkeit,
  • Haushaltsführungsschaden,
  • Gewinnbeteiligung des Gesellschafters,
  • Versicherungsrechtliche Nachteile.

 

Nicht ersatzfähige Positionen

Dagegen gibt es aber auch Positionen, die im Rahmen eines Erwerbsschadens nicht ersatzfähig sind. Dies sind unter anderem:

  • Spesen,
  • Rechts- und sittenwidrige Einkünfte durch z.B. Schwarzarbeit,
  • Rentenversicherungsbeiträge,
  • Beeinträchtigungen des Urlaubs oder der Freizeit.

 

Minderung der Arbeitskraft

Neben der Möglichkeit, dass der Geschädigte nach dem schädigenden Ereignis überhaupt keine Arbeitskraft mehr leisten kann, gibt es auch die Möglichkeit, dass die Arbeitskraft um einen bestimmten, gutachterlich festgestellten Anteil gemindert ist. Nach der Rechtsprechung belegt eine prozentual geminderte Arbeitskraft nicht denklogisch den gleichen finanziellen Nachteil. Stattdessen muss der Geschädigte konkret darlegen und beweisen können, inwieweit sich sein Einkommen nach dem schädigenden Ereignis konkret gemindert hat.

 

Prognose

Des Weiteren muss natürlich auch eine Prognose angestellt werden, inwieweit der Geschädigte sich ohne das schädigende Ereignis beruflich entwickelt und welches Erwerbseinkommen er erzielt hätte. Diese richtet sich nach § 278 ZPO. Zum Nachweis einer solchen Prognose reicht eine erhebliche Wahrscheinlichkeit aus, denn grundsätzlich ist eine Prognose nur schwer zu beweisen. Aus diesem Grund gehen Schwierigkeiten beim Nachweis der Prognose zu Lasten des Schädigers, da dieser, für die schwere Beweisbarkeit verantwortlich ist. Trotzdem ist der Geschädigte dazu verpflichtet, alle ihm möglichen relevanten Tatsachen und Anhaltspunkte, die zur Erstellung einer aussagekräftigen Prognose relevant sind, vorzutragen.

 

Verzögerter Eintritt der Erwerbsfähigkeit

Handelt es sich bei dem Geschädigten um eine Person, die noch nicht erwerbstätig ist, so muss der Schädiger alle Nachteile ausgleichen, die aus dem verspäteten Berufseinstieg entstanden sind. Je jünger der Geschädigte zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses ist, umso schwieriger gestaltet sich eine Prognose, weil die berufliche Ausbildung eben noch gar nicht oder nur in sehr geringem Maße begonnen hat.

Im Zweifel ist deswegen davon auszugehen, dass es einem jungen Menschen ohne das schädigende Ereignis gelungen wäre, erfolgreich in das Berufsleben einzusteigen und ein bestimmtes Einkommen zu erzielen.

Anhaltspunkte für die Prognose sind zum Beispiel:

  • Ausprägung bestimmter Neigungen, Fähigkeiten oder Begabungen,
  • Bereits begonnene Schul- oder Berufsausbildung,
  • Berufliche Abschlüsse des nahen familiären Umfelds,
  • Situation des Arbeitsmarktes,
  • Entwicklung des Geschädigten nach dem schädigenden Ereignis.

 

Einsatz verbliebener Arbeitskraft

Ist der Geschädigte nach dem schädigenden Ereignis nicht erwerbsunfähig, sondern in seiner Arbeitskraft gemindert, so muss er in den Grenzen der Zumutbarkeit und innerhalb seiner Möglichkeiten die verbliebene Arbeitskraft zur Minderung des Schadens einsetzen. Der Anspruch ist dabei nicht quotenmäßig zu kürzen. Es erfolgt dagegen eine Schätzung des fiktiven Einkommens, welches dem Erwerbsschaden angerechnet wird.

Dabei muss der Schädiger darlegen und beweisen können, dass es dem Verletzten unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls möglich und zumutbar ist, eine berufliche Tätigkeit aufzunehmen. Kann der Schädiger diesen Beweis erbringen, so muss der Geschädigte nachweisen, weshalb ihm die Aufnahme dieser Möglichkeit nicht möglich gewesen ist.

Außerdem muss der Geschädigte nachweisen können, dass er sich um eine Arbeitsstelle bemüht hat und dem Schädiger mitteilen, welche Arbeiten für ihn zumutbar und durchführbar sind. Besteht über Zweifel über die Zumutbarkeit, so sollte sich der Geschädigte zumindest arbeitslos melden und sich auf die Arbeitsangebote, die ihm in diesem Rahmen angeboten werden, bewerben.

Eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit sollte also nicht vorschnell angenommen werden!

 

Zumutbarkeit

Ob dem Geschädigten die Aufnahme der Erwerbstätigkeit zumutbar ist, ist nach den Umständen des Einzelfalles zu bewerten. Anhaltspunkte für die Feststellung der Zumutbarkeit können sein:

  • Die Persönlichkeit des Geschädigten,
  • Die soziale Lage,
  • Das bisherige sozialen Umfeld,
  • Die Begabungen, Fähigkeiten und Anlagen,
  • Der Bildungsgrad,
  • Die bisherige Erwerbsstellung,
  • Der allgemeine Gesundheitszustand,
  • Das Alter,
  • Die seelische und körperliche Anpassungsfähigkeit,
  • Die Umstellungsfähigkeit,
  • Die Art und Schwere der Unfallfolgen,
  • Der Wohnort und der Familie.

 

Umschulung

Kann der Geschädigte seinen vorherigen Beruf nicht ausüben, kann er verpflichtet sein, eine Umschulung zu besuchen. Diese Pflicht besteht jedoch nur, soweit zu erwarten ist, dass sich die beruflichen Chancen durch die Umschulung erheblich verbessern.

 

Operation und Medikamente

Scheitert die Arbeitsfähigkeit des Geschädigten an der Vornahme einer bestimmten Operation oder eines bestimmten Eingriffs, so kann dieser verpflichtet sein, sich den medizinisch notwendigen Maßnahmen zu unterziehen. Ein operativer Eingriff muss dem Geschädigten dabei zumutbar sein. Außerdem darf der Eingriff nicht gefährlich sein und dem Geschädigten keine besonderen Schmerzen bereiten. Dazu muss eine gesicherte Aussicht auf Heilung oder zumindest einer erheblichen Besserung bestehen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass alle diese Voraussetzungen vorliegen, weshalb diese Pflicht des Geschädigten nur in besonderen Ausnahmefällen überhaupt bestehen dürfte.

Rät der Arzt zu einer dauerhaften Medikation, welche mit erheblichen Besserungsaussichten verbunden ist, muss auf den Umfang der Risiken und Nebenwirkungen abgestellt werden.

 

Anrechnung von Vorteilen

Hat der Geschädigte durch das schädigende Ereignis Vorteile erlangt, so sind ihm diese bei der Bezifferung des Erwerbsschadens anzurechnen. Grundsätzlich gilt, dass der Geschädigte nach dem schädigenden Ereignis nicht besser gestellt sein darf als davor.

Anzurechnen sind dabei zum Beispiel Vorteile wie:

  • Ersparte Fahrtkosten zum Arbeitsplatz,
  • Ersparte Verpflegungskosten,
  • Ersparte Kosten für Arbeitskleidung oder ähnliches,
  • Ersparte Steuern.

 

Dauer der Ersatzpflicht

Die Dauer der Ersatzpflicht des Erwerbsschadens ist dabei auf die Dauer der Erwerbstätigkeit beschränkt. Bei abhängig Beschäftigten ist dabei die vom Gesetzgeber vorgesehene Zeit zur Beendigung des Erwerbslebens maßgeblich. Bei einem Selbstständigen muss auf die Umstände des Einzelfalles abgestellt werden.

 

Es wird also deutlich, wie viele verschieden Aspekte bei der Geltendmachung eines Erwerbsschadens zu beachten sind und wie komplex sich diese teilweise darstellen. Aus diesen Gründen ist es unvermeidbar, bei der Geltendmachung eines Erwerbsschadens auf einen Anwalt zu setzen, der die Interessen des Geschädigten optimal vertritt, damit am Ende eine ausgezeichnete Lösung erzielt werden kann.

 

 

RA Marco Schneider